Wenn der Mensch versucht, sich etwas vorzustellen, wird er notwendig irren. Vorstellung und Wirklichkeit sind nur in Ansätzen aufeinander bezogen, und der Glaube, Erstere müssen sich ständig mit Lezterer befassen, beruht auf der Tatsache, dass jene ungelöste Gleichung, die wir unser Ich nennen, genau am Schnittpunkt der beiden Koordinaten liegt. Wenn sich trotz hart erkämpfter Annäherung von beiden Seiten ein Abgrund zeigt, wird man nervös.
Juli Zeh, Spieltrieb
shine.on - 1. Jul, 22:48
„Er hat auch Glück.“ sagt mir der Mann an der Tür, will mir aber nicht verraten warum und wieso.
Kurz darauf sehe ich ihn. Gut und erholt sieht er aus. „Wie war der Urlaub?“ Blabla. Dann nimmt er unvermittelt mein Gesicht in seine Hand und Wärme füllt mich aus. Unsere Lippen finden ihren Weg. Dann wird er ernst. Die Leichtigkeit scheint um die Ecke gebogen. Es ist alles nicht einfach für ihn und etwas hat sich verändert, seit dem wir ein Geheimnis haben. Wenn er die Augen schließt, sieht er meine Augen mit ihrer grünen Mitte. Er sieht meine Brüste. Er sieht mein Alles. Und er liebt mich.
Vor langer Zeit hat er dies schon einmal zu mir gesagt. Damals verwirrte es mich, fand dann jedoch bald Ruhe in einer Kiste der Behaglichkeiten, fest verschlossen unter meinem Bett. Nun, im Hier erhalten die Worte mehr Wahrheit, so fühle ich. Wo sollen wir hin? Gefangen scheint es kein vor und kein zurück zu geben. In dem Moment ist alles so wahr, so echt und doch oder deswegen so kompliziert und fern.
„Und du?“ gebe ich die Frage zurück, nachdem ich ihm gesagt habe, woran ich gerade denke und mein ‚aber‘ noch zwischen uns steht. „Morgen Nachmittag kommt meine Freundin zurück.“
shine.on - 1. Jul, 22:30
Aus den Lautsprechern der elterlichen Stereoanlage klagt Robert Smith. Die Gitarren treiben davon und der Bass verbreitet ein warmes Gefühl im Bauch. Die Nachbarn wundern sich. Die CD, ein Mitbringsel vom Leipziger Hauptbahnhof, eine halbe Stunde Wartezeit zum Zeitvertreib.
Hier, in dieser Wohnung habe ich nie selbst gewohnt Meine Eltern zogen hier ein, als ich bereits pflüge geworden war.
I went away alone
with nothing left
but faith
Robert beendet seinen Schmerz, ohne meinen mitzunehmen, der CD-Wechsler wechselt die CD und Howard Carpendale, der Traum meiner Mutter, beginnt Friedfröhlichkeit zu schmettern. „Mit dir verschwende ich meine Zeit am liebsten.“ Nee, so geht das nicht. Wieder zurück zu CD 1.
Meine Eltern besteigen gerade ein Kreuzfahrtschiff und ich verbreite meine mitgebrachten Habseligkeiten kreuz und quer in der Wohnung, um sie zu markieren und mich nicht fremd zu fühlen.
Ich wollte ein Wochenende raus, ein kleiner Ausbruch. Alles ist starr und hat den Fluss verloren. Ich bin eine Insel?
Wieder möchte ich die Reset-Taste drücken. Es ist die Repeat-Taste die hängt.
I went away alone
with nothing left
but faith
shine.on - 1. Jul, 22:14